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Abschied unseres Bundesfreiwilligen Holger Bönig

Liebe Leserinnen & liebe Leser,

dies ist der letzte Artikel im Rahmen des nun endenden ökologischen Bundesfreiwilligendienstes Holger Bönigs. Er möchte die Gelegenheit nutzen, um sich bei Ihnen zu verabschieden, mit einem von Ihm frei gewähltem Herzensthema. Wir freuen uns 1,5 Jahre mit Ihm gemeinsam gegangen zu sein und danken Ihm für seine Unterstützung. Vielleicht begegnen Sie ja Herrn Bönig mit seiner Kamera auf der Pirsch nach einem weiteren guten Natur-Schnappschuss das ein oder andere Mal auf Ihren Spaziergängen hier am Hahneberg. Wir wünschen Ihnen jetzt viel Spaß beim Lesen.

Ihr Team der Naturschutzstation Hahneberg


Plädoyer zur Achtsamkeit

Liebe Naturfreunde & Naturfreundinnen,

am Ende dieses Mais 2020 schaue ich auf 17 Monate Ökologischer Bundesfreiwilligendienst (ÖBFD) – Zeit zurück, Gelegenheit, innezuhalten und ein Resümee zu ziehen.

Im Alter von bald 63 Jahren war es mir vergönnt, nach Jahrzehnten zumeist fremdbestimmter und entfremdender Broterwerbsarbeit doch noch, endlich, Hobby, Idealismus und Berufung im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Naturschutzstation Hahneberg zu vereinen.
Gleichzeitig kehrte ich hier zu meinen Wurzeln zurück.

Sehr oft legte ich die Arbeitswege zu Fuß zurück.
Das hatte doppelten positiven Effekt: einerseits tat das meiner Gesundheit ganzheitlich ohnehin gut, und zum anderen erschuf dieses Wandern eben jenen Rahmen, aus dem heraus ich die Besonderheiten der mich umgebenden Natur wieder beobachten lernte.
Und dabei wurde ich meist eins mit ihr.

Denn darum geht es mir zum Abschied: zu erkennen, dass wir nicht außerhalb (und erst recht nicht über) der Natur, von manchen Schöpfung genannt, stehen, sondern als Teil ihrer von Anfang an in ihr lebten und noch immer leben!
„Erkennen“ setzt u. a. Hinschauen voraus. Und dies gelingt eben nicht ohne Achtsamkeit.

Vor weiteren Ausführungen sei kurz ein interdisziplinär/politischer Exkurs gestattet:
Covid-19 beschert weltweit den Menschen Chancen: „was ist wirklich wichtig?“, „zu welcher Normalität will ich zurück?“ – das sind nur zwei von vielen großen relevanten philosophischen Fragen, die sich uns als Individuum aber auch als Gesellschaft (politisch) stellen. Die eingekehrte Ruhe im Streben nach Höherem/Weiterem/Größerem verschafft uns mit ihren meditativen Aspekten und quasi all-sonntäglichen Pausen das Fenster, hinter dem wir die richtigen Antworten finden könnten.

Klaus Schwab, Wirtschaftswissenschaftler und Initiator des WEF (World Economic Forum), antwortete in Davos 2018 auf die Frage, was ihn persönlich am meisten (global) besorgte und worin er das Haupt-Übel unserer heutigen Zeit sähe mit nur einem Wort: Egoismus!
Seine beachtenswerte Antwort steht damit nicht nur in diametralem Gegensatz zu den Doktrinen mancher Regenten, sondern eben auch zu vielen unserer eigenen lieb und teuer gewordenen Gewohnheiten.

Egoismus ist beinahe das Gegenteil von Achtung gegenüber dem Anderen, denn zu dieser Achtung gehört ein Mindestmaß an Solidaritätsempfinden, Empathie und Herzensbildung.
Da wir uns, wie bereits angemerkt, als Teil der Natur begreifen sollten, meint diese Achtung aber zusätzlich auch die Achtung vor eben genau dieser uns umgebenden Natur!

Jennifer Morgan, Greenpeace-Chefin, traf 2018 beim WEF in Davos den frisch gewählten Brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro, der von sich behauptete, einer der größten Naturschützer zu sein …
Der amtierende US-Präsident Trump hielt dort ebenfalls eine Rede in vertrautem Tenor, über die der Grünen-Chef Robert Habeck sagte, sie sei, mit Blick auf die weltweite Klimapolitik, ein Desaster …
Heute, etwas mehr als zwei Jahre später, liegen die Ergebnisse dieser egoistischen Weltmacht-Politik offen zutage …

Der Soziologe Reckwitz, vom Philosophen Precht danach gefragt, würde der Regierung hierzulande empfehlen, das heute angewandte Risiko-Management in der Corona-Politik in die Klima- und Artenschutz-Politik zu übernehmen!
Precht indes sieht die Wahrscheinlichkeit skeptisch, dass die jetzige Chance, in einem derzeit offen stehenden Handlungsfenster in Alternativen zu denken und dann vernünftige politische und wirtschaftliche Prozesse zu generieren, von den Regenten genutzt werden würde.
Dennoch: wir dürfen nicht resignieren!
Und, angelehnt an die Worte Hermann van Veen‘s: „es ist absolut überflüssig, apathisch zu reagieren!“

Achtsamkeit wiederum ist ein Gegenteil von Apathie!

Bislang war die Rede von Achtsamkeit und Achtung vor etwas oder jemandem.
Nun möchte ich jedoch abschließend einladen, alle Sinne bei unseren Natur-Besuchen nach Möglichkeit noch mehr zu öffnen und unsere Achtsamkeit auf etwas zu lenken; gerade heutzutage bietet die Stille im Grünen, besonders morgens bei Sonnenaufgang, die Voraussetzung und Möglichkeit, Stimmen und Gesängen zu lauschen, Düfte konzentriert ungestört wahrzunehmen und ebenso, ohne Ablenkung, plötzlich „Kleines“ ganz groß und weit Entferntes ganz nah‘ zu sehen …

Genauso erging es mir in den letzten Wochen:
War ich ursprünglich („nur“) auf der Suche nach blau Blühendem, entdeckte ich kleinste Bienen in Kornblumen-Blüten:

Wollte ich dann das Weiß-Rosane, was mir aus der Ferne entgegen leuchtete, fotografieren, strömte mir zuvor bereits der intensive Duft der Apfelrosenblüten entgegen:

Und stand ich versteckt, an eine Birke gelehnt, am Waldrand, um den Pirol zu sehen, dessen markant-melodischen Gesang ich zuvor vernahm, vernahm ich alsbald in geringem Abstand hinter mir im Dickicht tiefes, lautes Grunzen:

Während ich mich gemächlich entfernte, redete ich beruhigend auf die Tiere ein: mein Fotoapparat sei kein Gewehr, und ich wünschte ihnen guten Appetit …
Pfeifen im Walde.
Und dennoch: alles war friedlich, harmonisch, in gegenseitigem Einverständnis. Schien mir.
Wie gesagt: eins mit der Natur.
Meine Jugend in niedersächsischen Dörfern und meine häufige, Asche auf mein Haupt, Jagd-Teilnahme lehrten mich, die Risiken zu kennen und einzuschätzen.
„Pädagogisch wertvoll“ konnte ich mein Wissen über das Verhalten trächtiger Bachen bei meinen Belehrungs-Bemühungen der häufig uneinsichtigen Hundehalter*Innen nutzen, die da zumeist kaum Gründe sahen, die Anlein-Pflicht einzuhalten: zwar interessierten sie sich so gut wie nie für das Brut-Geschehen seltener Boden-Brüter (Heide- und Feld-Lerche, Nachtigall, Fasan), sehr wohl aber für das Wohl ihres geliebten vierbeinigen Freundes …
So viel noch einmal an dieser Stelle zum Egoismus …

Apropos Boden: ich erinnere mich nicht, mich je für das Tier-Leben innerhalb von Brenn-nessel-Büschen interessiert zu haben. Bis vor kurzem:

Zu meiner beinahe täglichen Freude hoppelten mir bei meinen Wanderungen folgende Vierbeiner über den Weg am Hahneberg im Revier des Neuntöters:

Fast an gleicher Stelle, gefiedert, aber zunächst auch zu Fuß unterwegs:

Derweil am Himmel einer meiner Lieblings-Greife kreist:

Weder die Kaninchen, noch der Grünspecht lassen sich von uns stören: sehen und gesehen werden …
Letztes Jahr waren hier und in den Gatower Rieselfeldern die nun schon oft genannten Neuntöter, auch Rotrückenwürger genannt, zu sehen:

Ebenfalls konnte ich mich ab April dieses Jahres über die Wiederkehr „unserer“ Steinschmätzer freuen:

Bei sonnigem Wetter flatterten auch in diesem Mai einige Schmetterlinge in den Höhen der Blumen-Wiesen am Hahneberg, wie beispielsweise dieser Vertreter der Bläulinge, den ich bislang noch nicht innerhalb seiner artenreichen Vielfalt mit ca. 5.200 Arten und 416 Gattungen genügend genau bestimmen konnte …
Ohne die einst freundliche Belehrung einer der nettesten Chefinnen, die ich je hatte, der Biologin und Insekten-Expertin, Frau Lucia Kühn, wären wohl bis an mein Lebensende sämtliche Bläulinge ausschließlich Hauhechel-Bläulinge geblieben …
Von daher bin ich sehr dankbar.
Und vorsichtig bei meinen vermeintlichen Bestimmungskünsten …

Angrenzend an das Landschaftspflegegebiet befindet sich das NSG und Natura 2000-Gebiet Fort Hahneberg.
Dort wuselten 2019 Zauneidechsen herum:

Wir können nachts schlecht sehen.
Die ArtenFinder Wildtier-Kameras übernahmen das für uns auf dem Gelände der Naturschutzstation:

Noch können wir als Zeitzeugen von dieser bedeutenden Arten-Vielfalt künftigen Generationen berichten. Und: es geht nicht zuletzt dabei auch um unser aller Überleben.
O. E. Wilson weist im Untertitel seines Werkes Der Wert der Vielfalt darauf schon 1992 hin.

Oft hörte ich bei der Präsentation der Arbeit der Naturschutzstation Hahneberg wohl klingende Zitate vergangener Forscher und Naturschützer. Die Reden betonten, dass wir nur zu schützen bereit wären, was uns etwas bedeutete.
Jahrzehnte vergingen mit solchen und ähnlichen Reden und Schriften…
In meinem vorliegenden Plädoyer zur Achtsamkeit habe ich bewusst den Worten meine Bilder beigefügt: sie mögen dort die Herzen erreichen, wo es Worte nicht vermochten.

Es ist nun Zeit, mich von Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, zu verabschieden. Ich hoffe, Sie hatten beim Lesen und Gucken ebenso viel Spaß wie ich, als ich die Texte schrieb und meine Fotos bearbeitete! Ein paar weiter liegen im Anhang bei.
Machen Sie’s gut, passen Sie auf sich auf, Alles Gute und Gesundheit!


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